Oshury – Staffel 02 - 03: Mahnwache

Oshury – Staffel 02 - 03: Mahnwache

Am Morgen des vierten Thelgehem, ein recht kühler Sommerstag, näherten sich Skarild, Peogyd und Nathanael der Bastille in Skaegh. Das Kastell der Ygtras hatte von den Bewohnern diesen Namen erhalten und war ihn bis heute nicht mehr los geworden. Es zeigte sich, dass die Drei bei weitem nicht die einzigen waren, die dabei sein wollten, wenn Iosaph McPhilipp und Glocester Rivenbair mit der Rittschaft sprach.

Trotz des andauernden Seewindes hielten sich einige Wolken hartnäckig vor der Sonne. Als ob Ygtras sich den traurigen Anblick der Bastille ersparen wollte. Immer noch stieg Rauch aus den verkohlten Resten des ausgebrannten Südturms auf, der noch nicht einmal ganz fertig gestellt war. Die Trümmer des großen Baugerüsts, über den wohl ein Teil der Rittschaft in die Bastille vordrang, lagen auf dem Vorplatz verteilt. Dazwischen die Zeichen des Kampfes, der vor zwei Tagen hier tobte: ein bolzendurchbohrter Schild, ein abgebrochener Speer, ein zerbeulter Helm.

Zuerst fiel den dreien eine Bande Kinder auf, die aus der Krummen Gasse heraus auf das Kastell spähten. Sie machten sich einen Spaß daraus, immer einen neuen unter ihnen zu bestimmen, der zur Mauer rennen musste, um hastig etwas Obszönes an die Wand zu kritzeln. Jetzt zeichnete gerade Einer die Karikatur des Mütterchen Igdas in den Kalk, wohl als Verhöhnung der Ygtras gedacht. Eine Mutprobe.

Gegenüber des Südturms standen zwei Personen am Schafsbrunnen und schauten auf den Platz: Die Gruppe erkannte Schwester Ciannait Uí Siat, in ungewöhnlich dunkle Tücher gehüllt und mit offenen Haaren statt der raffinierten Turmfrisur, die sie sonst trägt. Neben ihr ein älterer Mann. Graue Tunika, breitkrempiger Hut und das Zeichen des allesverschlingenden Strudels um den Hals. Das konnte nur Bruder Donnchad sein, der den Schrein von Marannan, Gott des Meeres, des Sturms und der Wildnis bei den Klippen pflegt. Nur selten kommt er nach Skaegh.

Eine einzelne Gestalt stand auf einer Mauer gegenüber dem Haupttor der Bastille. Der junge Mann hielt ein Schild in den Händen: "Aine, komm' nach Hause!" stand darauf.

Dann kamen zwei Reiter die Sonnenallee entlang. Die eine saß trotz ihres hohen Alters mit bester Haltung im Sattel: Sirath Gilmore, die Matriarchin des Gestüts. Die zweite, weit jüngere Frau machte eine deutlich schlechtere Figur im Sattel. Lasair Mhic Gille, die Sprecherin der Händler von Skaegh. Sie hatte sichtlich Schwierigkeiten ihr Pferd dazu zu bringen, mit der eleganten Pferdeführung Siraths mitzuhalten.

Bei weitem die größte Aufmerksamkeit erregte aber eine Gruppe von Gestalten, die eine taktisch kluge Position zwischen zwei Häusern direkt am Platz bezogen hatte: Neun Gestalten, allesamt Zarengeschenke.

Da war eine spindeldürre Frau, deren Gesicht, Hals und Arme von ovalen Bisswunden entstellt waren, die sie sich bei einem Ausflug in die Sümpfe zugezogen haben soll. Tameer ist ihr Name und sie gebietet über die Kräfte einer unbekannten Gottheit. Sie trug einen verrosteten Bumerang an der Seite, dessen Kanten gezackt und Gerüchten zufolge mit Froschgift getränkt sind. Tameer ist die Anführerin der Verfluchten Unternehmung, eine Gruppe, die sich in den letzten Monaten einen Namen in Skaegh gemacht hat.

Neben ihr lehnte an der Wand Reya, die Schleierwanderin. Eine Diebin, die in zerlumpte, einst königlich edle Tücher gehüllt war. Reya scheint die ganze Zeit zu grinsen, aber ihre traurigen Augen sprechen vom Gegenteil. Sie gilt als habgierig; doch Peogyd weiß es besser.

Als nächsten erkannten die Drei Kayel. Ein lauter und draufgängerischer Zauberer mit einem anhaltenden Gefühl der Minderwertigkeit. Sein ungekämmtes blondes Haar stand in alle Richtungen. Ein böse aussehende rosa Echse namens Ronk saß auf seiner Schulter. Gerüchten zufolge handelt es sich um einen ehemaligen Kameraden, der durch eine Falle, die Kayel auslöste, verwandelt wurde.

Daneben klopfte Emrestis, der Ebenholz-Junge pfeifend einen Takt auf seinem Schenkel. Der Barde trug eine kreideweiße Rüstung mit hässlichem Gesicht, das die Zunge herausstreckte, auf seiner Brust. Er pfeift, wenn er nervös ist. Was die meiste Zeit der Fall ist. Einmal hätte Dwinbar Emrestis beinahe damit beauftragt, ein Lied über die Taten der Gruppe zu schreiben. Doch das Teststück war so unter der Gürtellinie und irritierend, dass Dwinbar sich nach einem anderer Künstler umsah.

Und dann ist da noch, und das traf Nathanael besonders, Alina. Die schüchterne dunkelhaarige Magier-Schülerin hatte wohl einen Narren an Kayel gefressen und sich jetzt auch noch der Verfluchten Unternehmung angeschlossen.

Begleitet wurden sie von vier weiteren Zarengeschenken, deren Gesicher bekannt waren, die aber noch nicht von sich Reden gemacht hatten.

Dann betraten Iosaph McPhillip, der Sprecher des Dorfes, zusammen mit dem alten Ritter Glocester Rivenbair und Peogyd den Platz. Den älteren Männern waren die Strapazen und Sorgen der letzten Tage deutlich anzusehen. Als Glocester über einen Stein stolperte, rettete ihn nur Peogyds beherzter Griff vor dem Sturz. Langsamen Schrittes gingen sie auf das Tor der Bastille zu.

Nathanael hatte sich an einer Häuserwand ganz in der Nähe der Verfluchten Unternehmung postiert. Immer wieder schaute er zu ihnen hinüber. Auf sein grüßendes Nicken reagierte nur Alina, der Blick der anderen blieb versteinert und auf das Tor geheftet.

Skarild hielt sich nur kurz am Platz auf und suchte sich dann ihren eigenen Weg. Ihr Plan: unbemerkt ins Innere der Bastille zu gelangen.

Da ertönte ein tiefer Gong aus der Bastille. Die Mannpforte im großen Tor öffnet sich und eine kleine Delegation trat heraus. Als Erster erschien Cennet Queally, der ehemalige Knappe und neuer Anführer der "Rittschaft vom Stein". Obwohl er kaum älter ist als die Größten der Kinderbande, lagen sichtlich Jahre der Reifung zwischen ihnen. Feierliche Ernsthaftigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Ihm folgten zwei weitere Gerüstete: eine drahtige Frau mit Speer und Schild und ein breitschultriger Mann mit Morgenstern.


Cennet machte im Gespräch klar, dass er freien Abzug für seine Rittschaft und die Leichen der Getöteten verlangte. Dafür würde er die Bastille dem Dorf überlassen. Die Rittschaft möchte ihre tote Heldin Moli Kerrisk in die Höhlen der Uralten überführen und dort zur Ruhe betten. Damit zeigte sich Iosaph prinzipiell einverstanden. Er forderte lediglich, dass die Rittschaft eine weitere Stunde mit der Übergabe warten solle, damit er sich mit seinen Vertrauten, darunter unsere Charaktere, beraten könne. Cennet stimmte zu.

Zur Besprechung in McPhillips bescheidenem Heim kamen neben Peogyd und Nathanael, dem alten Ritter Glocester Rivenbair, Schwester Ciannait und Bruder Donnchad, Sirath Gilmore und Lasair Mhic Gille zusammen. Skarild hatte sich währenddessen unbemerkt Zugang zur Bastille verschafft und harrte in einem Fass versteckt aus, um zu beobachten, was dort vor sich ging.

Die Besprechenden waren sich bald einig, dass der Abzug der Rittschaft in der aktuellen Situation das Beste für Skaegh sei. Auch wenn Donnchad kurzzeitig den Vorschlag eingebracht hatte, die Bastille zu schleifen und damit ein klares Zeichen gegen die Rückkehr der Kirche und Miliz der Ygtras zu setzen. Die Mehrheit hielt es nicht für schlau, sich gegen die Besatzer aufzulehnen, weil mit einer heftigen Gegenreaktion zu rechnen sei. Dem fügte sich Donnchad widerwillig. Einig war man sich aber auch, dass die Bastille nicht leer stehen sollte, da das Begehrlichkeiten, zum Beispiel bei der Verfluchten Unternehmung, wecken würde. Stattdessen beschloss man, eine Art Mahnwache zusammen zu stellen: unbewaffnete Bewohner Skaeghs, die die Bastille friedlich besetzen und dort ausharren sollten.

Zurück bei der Bastille, wurde der Plan mit Cennet geteilt und von diesem akzeptiert. Jetzt galt es in möglichst kurzer Zeit eine gute Menge an Leuten zu finden, die dazu bereit waren, die Mahnwache in der Bastille zu bilden. Dazu hielt Peogyd eine feurige Ansprache im Langhaus. Auch wenn nicht alle seinen Worten folgen wollten, so fanden sich dennoch 32 Mutige dafür. Darunter ein großer Teil seines eigenen Clans und einige Anhänger des neu etablierten Glaubens an den Heiligen Aengus. Iosaph McPhillip brachte 36 Dörfler dazu, ihm zur Bastille zu folgen. Und Nathanael, der Fhaoláin Brellgyd, den Wirt des Sonnenflecks mittels Magie auf seine Seite zog, konnte 8 Stammgäste des Gasthauses zur Mahnwache beisteuern. Insgesamt also 76, eine stattliche Zahl.

Gemeinsam ging es im Lichterzug zur Bastille. Sogar einige Schafe hatten die Friedensbringer mitgebracht. Singend zogen sie durch das große Tor in das Ygtras-Kastell ein. Skarild nutzte derweil das Durcheinander, um einige herumliegende Wertgegenstände zusammen zu raffen. Cennet stand mit seiner Rittschaft schon bereit: auf einem Wagen hatten sie Moli Kerrisk feierlich aufgebahrt. Dahinter, auf einem zweiten Wagen, lagen die in Sackleinen eingeschlagenen Toten der Rittschaft. Mit Cennet und seinen beiden Getreusten an der Spitze machte sich die Prozession auf, die Bastille zu verlassen.

Die Runde endete mit Ideen dazu, wie die Bastille dauerhaft als Marktplatz und Treffpunkt in Skaegh genutzt und damit einer militärischen Wiederverwendung entzogen werden könnte.